Eine Daumenbreite für die Fledermaus
Interview mit Nina Dommaschke und Imke WardenburgNina Dommaschke und Imke Wardenburg arbeiten beim NABU Landeverband Berlin im Projekt Artenschutz am Gebäude. Die beiden wissen, was ein Spatz im Industriegebiet braucht und was bei einer Gebäudesanierung zu beachten ist, damit kein Bußgeld droht.
Sie beide sind Expertinnen für den Artenschutz am Gebäude. Wer tummelt sich alles dort?
Alle möglichen Vogelarten wie Spatzen, Mauersegler, Schwalben, Turmfalken oder Schleiereulen. Auch viele Fledermausarten wie die Zwerg-, Mücken- und Breitflügelfledermaus. Besonders ältere Gebäude aus Stein bieten viele Möglichkeiten, genauso wie Dachziegel und Fassadenvorsprünge.
Wie steht es um den Lebensraum für diese Arten in den Städten?
Er schwindet. Es fehlt an Nahrung, Ruhe und Fortpflanzungsstätten. Man sieht deutlich, dass durch Sanierung, Abrisse und Umbauten die Häuser so verändert werden, dass sie keine offenen Strukturen mehr bieten. Oft sind die Fassaden hermetisch abgeriegelt, ohne Lücken im Putz, in die zum Beispiel eine Fledermaus reinpasst – und der reicht eine Daumenbreite Platz. Das ist ein großes Problem.
Hat das auch etwas mit der energetischen Sanierung von Gebäuden zu tun?
Auf den ersten Blick sieht es so aus, als würden sich energetische Sanierung und Artenschutz ausschließen. Durch die Sanierung verlieren Tiere auch erstmal ihre Lebensstätten. Energetische Sanierung ist sehr wichtig, der Artenschutz muss dabei mitgedacht werden. Das geht auch sehr gut.
Und wie?
Wird ein Gebäude saniert oder umgebaut, sollte frühzeitig vor Baubeginn überprüft werden, ob es Lebensstätten am Gebäude gibt. Also zum Beispiel Vogelnester. Das ist auch keine freiwillige Sache, sondern im Bundesnaturschutzgesetz vorgeschrieben. Die Lebensstätten sind gesetzlich geschützt, deswegen muss die Bauherrschaft dafür sorgen, dass nach der Sanierung die gleiche Anzahl für die entsprechende Arten wiederhergestellt wird.
Wer kontrolliert, welche Tiere sich dort niedergelassen haben?
Ein Gutachter oder eine Gutachterin, ein Ornithologe oder ein Fledermauskundler. Sie kartieren die Lebensstätten, melden das der entsprechenden Behörde und schlagen einen Ersatz vor.
Wie sieht so ein Ersatz aus?
Das können zum Beispiel Fledermaussteine oder Nistkästen sein, die an die Fassade angebracht oder direkt in das Wärmedämmverbundsystem integriert werden. Es gibt richtige Steine, die eingebaut werden. Die fallen kaum auf, es ist nur das Einflugloch zu sehen. Die unterscheiden sich dann auch von Art zu Art. Was für den Spatz passend ist, ist noch lange nichts für die Fledermaus. Deshalb muss man im vornhinein gucken, welche Arten betroffen sind. Das ist noch nicht in den Köpfen drin, dass es Pflicht ist, sich darum zu kümmern.
Woran merken Sie das?
Wir schätzen, dass 80 Prozent der Gebäude, die in Berlin saniert werden, keine Gutachterin oder einen Gutachter sehen. Es ist allerdings nicht empfehlenswert, es darauf ankommen zu lassen. Die Strafen sind hoch. Es kann zu einem Baustopp kommen oder zu einem Bußgeld von bis zu 50.000 Euro. Bei uns rufen oft Leute an, deren Haus saniert wird und die sich um Mauersegler oder Schwalben in ihrem Haus sorgen und wissen wollen, was sie machen können. Man sagt über Berlin, keiner kenne seine Nachbarn. Die trierischen Nachbarn kennen die Menschen aber durchaus. Die Behörde ist dann schnell da und kontrolliert. Bußgelder zahlt auch nicht der Bauherr allein. Die Hälfte tragen die beteiligten Gewerke.
Wie sieht es bei einem Neubau aus?
Beim Neubau gibt es bisher keine Verpflichtung, Lebensstätten zu schaffen. Wir würden uns wünschen, dass das in die Bauordnung aufgenommen wird. Besonders wenn man bedenkt, dass Artenschutz am Gebäude wirklich wenig kostet. Bei einem Kasten für einen Haussperrling sind es rund 70 Euro.
Welche Möglichkeiten bestehen auf Betriebsgeländen, Plätze für Vögel zu schaffen?
Man kann zum Beispiel Nistkästen anbringen. Das danken einem die Tiere sehr. Der Kasten ist aber nur die halbe Miete. Hängt er in einem Industriegelände, das stark versiegelt ist, werden da wahrscheinlich keine Tiere einziehen. Auch das Umfeld muss dann grüner werden mit Gehölz und Sträuchern, offenen Bodenstellen oder einem kleinen Sandbad. 300 bis 500 Meter um eine Niststätte herum, braucht zum Beispiel ein Spatz solche Grünflächen. Da reicht es nicht, dass der nächste Park einen Kilometer entfernt ist. Strukturelle Vielfalt schafft Artenvielfalt. Auch Fassadenbegrünung ist eine Möglichkeit.
Wie hilft die Fassadenbegrünung dabei?
Wilder Wein, Efeu oder Blauregen sind ein super Lebensraum für ganz viele Tiere. Die Pflanzen ziehen Insekten an und die sind wichtig für Spatz, Fledermaus und Mauersegler. Das sind Insektenfresser. Es gibt aber auch Vögel, die nicht im Gebäude, sondern direkt in der Gebäudebegrünung brüten. Deswegen ist Efeu so wertvoll. Es bildet mitunter dicke Stämme und ist ein richtiges Pflanzengerüst, wo Freibrüter ihre Nester hineinbauen können. Nach sechs bis acht Jahren bildet Efeu außerdem Blüten und Beeren. Die nutzen dann wiederum die Seidenbiene, Schwebfliegen und auch Honigbienen. Außerdem reduziert eine Fassadenbegrünung Lärm, kühlt im Sommer und bietet Schatten. Efeu sollte allerdings nur an intakten Fassaden angepflanzt werden. Sind dort bereits Risse, kann die Pflanze dort hineinwachsen und sie vergrößern und mit ihren Haftwurzeln Putz von der Fassade reißen. Wenn man die Fassadenbegrünung später abnimmt, bleiben außerdem oft unschöne braune Stellen zurück. Aber all das kann man vermeiden. Zum Beispiel mit Gittern, an denen sich die Pflanzen entlang ranken können und die so einen Abstand zur Fassade schaffen. Es gibt kaum ein Problem, für das Artenschützer nicht bereits eine Lösung gefunden hätten.